Capriccio Konversationsstück für Musik in einem Aufzug [LETZTE SZENE]
Capriccio Konversationsstück für Musik in einem Aufzug [LETZTE SZENE]
LETZTE SZENE:
GRÄFIN
Wo ist mein Bruder?
HAUSHOFMEISTER
Der Herr Graf hat Madeimoiselle Clairon nach Paris begleitet.
Er lässt sich für heute Abend entschuldigen.
GRÄFIN
So werde ich allein soupieren. -
Ein beneidenswertes Naturell!
Das Flüchtige lockt ihn.
Wie sagte er heute?
»Heiter entscheiden - sorglos besitzen.
Glück des Augenblicks - Weisheit des Lebens!«
Ach! Wie einfach!
[zum Haushofmeister]
Was noch?
HAUSHOFMEISTER
Herr Olivier wird morgen nach dem Frühstück seine Aufwartung machen,um von Frau Gräfin den Schluss der Oper zu erfahren.
GRÄFIN
Den Schluss der Oper? Wann will er kommen?
HAUSHOFMEISTER
Er wird in der Bibliothek warten.
GRÄFIN
In der Bibliothek? Wann?
HAUSHOFMEISTER
Morgen mittag um elf.
[geht mit einer Verbeugung ab]
GRÄFIN
Morgen mittag um elf! Es ist ein Verhängnis.
Seit dem Sonett sind sie unzertrennlich.
Flamand wird ein wenig enttäuscht sein,
statt meiner Herrn Olivier in der Bibliothek zu finden.
Und ich? Den Schluss der Oper soll ich bestimmen,
soll - wählen - entscheiden?
Sind es die Worte, die mein Herz bewegen,
oder sind es die Töne, die stärker sprechen -
[Sie nimmt das Sonett zur Hand,
setzt sich an die Harfe
und beginnt, sich selbst begleitend, das Sonett zu singen]
Kein Andres, das mir so im Herzen loht,
nein, Schöne, nichts auf dieser ganzen Erde,
kein Andres, das ich so wie dich begehrte,
und käm' von Venus mir ein Angebot.
Dein Auge beut mir himmlisch-süße Not,
und wenn ein Aufschlag alle Qual vermehrte,
ein Andrer Wonne mir und Lust gewährte,
zwei Schläge sind dann Leben oder Tod.
[sich unterbrechend]
Vergebliches Müh'n, die beiden zu trennen.
In Eins verschmolzen sind Worte und Töne -
zu einem Neuen verbunden.
Geheimnis der Stunde.
Eine Kunst durch die andere erlöst!
Und trüg' ich's fünfmalhunderttausend Jahre,
erhielte außer dir, du Wunderbare,
kein andres Wesen über mich Gewalt.
Durch neue Adern müsst' mein Blut ich gießen,
in meinen, voll von dir zum Überfließen,
fänd' neue Liebe weder Raum noch Halt.
[Sie erhebt sich und geht leidenschaftlich bewegt
auf die andere Seite der Bühne]
Ihre Liebe schlägt mir entgegen,
zart gewoben aus Versen und Klängen.
Soll ich dieses Gewebe zerreißen?
Bin ich nicht selbst in ihm schon verschlungen?
Entscheiden für einen?
Für Flamand, die große Seele mit den schönen Augen -
Für Olivier, den starken Geist, den leidenschaftlichen Mann? -
[Sie sieht sich plötzlich im Spiegel]
Nun, liebe Madeleine, was sagt dein Herz?
Du wirst geliebt und kannst dich nicht schenken.
Du fandest es süß, schwach zu sein, -
Du wolltest mit der Liebe paktieren,
nun stehst du selbst in Flammen
und kannst dich nicht retten!
Wählst du den Einen - verlierst du den Andern!
Verliert man nicht immer, wenn man gewinnt?
[zu ihrem Spiegelbild]
Ein wenig ironisch blickst du zurück?
Ich will eine Antwort und nicht deinen prüfenden Blick!
Du schweigst? -
O, Madeleine, Madeleine!
Willst du zwischen zwei Feuern verbrennen?
Du Spiegelbild der verliebten Madeleine,
kannst du mir raten, kannst du mir helfen
den Schluss zu finden für ihre Oper?
Gibt es einen, der nicht trivial ist? -
HAUSHOFMEISTER
Frau Gräfin, das Souper ist serviert.
- Artist:Richard Strauss